Die Zukunft des Gesundheitswesens: eine Mischung aus IT und Medical-Food

Sven Gábor Jánszky, Zukunftsforscher und Direktor 2b AHEAD Think Tanks
Sven Gábor Jánszky, Zukunftsforscher und Direktor 2b AHEAD Think Tanks

Sven Gábor Jánszky, Direktor 2b AHEAD Think Tanks, ist einer der renommiertesten Zukunftsforscher Europas (http://www.2bahead.com/tv/). Jánszky sprach am 04.04.2017 im Rahmen des Prospitalia Jahreskongresses vor über 400 begeisterten Zuschauern in Stuttgart. Die Tagung für Krankenhauseinkäufer stand unter der Motto "Prozessoptimierung durch Digitalisierung - Lösungen aus Sicht des Einkaufs".

 

Das Gesundheitswesen ist die Branche, die sich im Rahmen der Digitalisierung am meisten wandeln werde, führte Jánszky ein.  Die Zukunft der Kliniken werde aber nicht aus den Kliniken selbst entwickelt, so Jánszky. Vielmehr werde sie von außen, den Patienten und den IT-Firmen vorangetrieben. Um die Zukunft zu erfragen, muss der Zukunftsforscher deshalb Personen aus diesen Branchen befragen. Zukunftstreiber sind laut Jánszky Unternehmen wie Google, IBM oder Qualcomm. Die Entwicklung der Digitalisierung wird exponentiell steigen. Derzeit verdoppelt sich alle 18-24 Monate die Rechenleistung eines PCs. Die gegenteilige Entwicklung kann man bei der Nutzungsdauer von Handys und Medizinischen Geräten beobachten. Diese werden immer kürzer und Geräte seien bereits nach 2 bis 3 Jahren veraltet.  

 

Digitalisierungsstrategien sind gefährlich 

Jánszky behauptete, dass alle digitalen Strategien der Unternehmen für das Jahr 2025 falsch seien. Diese Erkenntnis müssten die Manager aber erst einmal gewinnen. Es sei zwar durchaus sinnvoll eine Digitalisierungsstrategie für sein Unternehmen und den Einkauf aufzustellen, jedoch ist die Entwicklung in den nächsten Jahren so exponentiell, dass im Jahr 2025 alles wieder anders sein würde, als vorher angenommen. Deshalb könnte man keine Strategie aufstellen, die einen Zeitraum länger als fünf Jahre umfasst. Die Strategie muss ständig angepasst werden, so Jánszky. Als Beispiel für die exponentielle Entwicklung nannte er das iPhone 1. Dies wurde vor genau 10 Jahren auf den Markt gebracht. Damals lag die Zustimmung der Bevölkerung zur täglichen Verwendung des Handys und eines Touchscreens unter 2 Prozent. Heute hält jeder das iPhone für das normalste auf der Welt. Wir empfinden Regelbrüche, die wir vorher als Spinnerei abgetan haben, im Nachhinein als normal, betonte Jánszky. 

 

IBMs Watson im Handy 

Eric Brown, Director IBM Watson, veröffentlichte bereits im Jahr 2016 eine kostenlose Watson-Testversion für Studenten, so Jánszky. Jánszky Prognose: Im Jahr 2025 erledigen Studenten ihre Excel Arbeiten nur noch mit einem integrierten Watson-Algorithmus. Künstliche Intelligenz wird zur normalsten Sache der Welt werden. Jánszky prognostiziert eine spannende Entwicklung im Bereich Kundenservice und Call-Center: Watson könnte ab 2025 80% der eingehenden Anrufe thematisch voraussagen. Und zwar bevor der Anruf überhaupt beim Call-Center eingeht. Jánszky nannte ein Beispiel: Herr Musterman hat wahrscheinlich ein Problem "XY". Zu seinem Problem passt wahrscheinlich die Lösung "XY", berechnet Watson. In drei Jahren werde jeder Mensch eine mobile Watson-Version in seinem Smartphone mittragen. Watson werde in drei Jahren Krebs besser erkennen als Menschen. Der Chinesischer Computer "Quantum Physics" hat zu Watson bereits aufgeschlossen., meint Jánszky. Die Entwicklung geht rasant weiter. Wir würden an der Schwelle zum Zeitalter des Quanten-Computer stehen, so Jánszky. Die kognitive Intelligenz, also die Denkgeschwindigkeit, die Fähigkeit Strategien zu bilden oder Verhandlungen zu führen, wird im Jahr 2057 vom Computer endgültig besser ausgeführt werden als vom Menschen, prognostiziert Jánszky.  

 

Szenario für das Jahr 2025

Jánszky skizzierte ein Szenario für das Jahr 2025: "Der Wecker ist dreidimensional. Morgens wird es hell, weil das Fenster automatisch transparent wird. Man schaltet seinen virtuellen Schrank an, der einem bei Bedarf direkt eine neue Jeans bestellt. Der Schrank hat Kenntnis über alle Daten eines Menschen (vergleiche Video "Kinderzimmer" von Sven Gabor Jánszky).  Jánszky fragt sich jedoch, braucht der Mensch transparente Fenster? Jánszky ist sich sicher, transparente Fenster werden dennoch auf den Markt kommen. Denn Innovation kämen in die Welt, weil Unternehmen damit Geld verdienen würden. Das "alte" Fenster wird es irgendwann einfach nicht mehr zu kaufen geben ("End of Service und End of Life"). Man erhalte dann keine Ersatzteile mehr. Laut Jánszky schätzt Eric Brown von IBM, dass Watson bereits im Jahr 2020 die Größe eines Smartphones hat. Dann werden wir alle einen Watson in der Tasche mit uns herumtragen, meinte Jánszky. Die Kliniken müssten sich bereits heute auf diese Entwicklung einstellen und ihr Geschäftsmodell dahingehend hinterfragen oder entsprechend adaptieren. Jánszky stellte die Frage ins Publikum, "funktioniere ihr Geschäftsmodell immer noch, wenn jeder ein Watson in der Tasche hätte?" Laut Jánszky wird das Vertrauen in einen Gegenstand, wie zum Beispiel einen Spiegels oder Schrank, in Zukunft höher sein als in einen Menschen, zum Beispiel in einen Arzt. Aber warum ist das so? Jánszkys Antwort: Weil der Spiegel einfach die besseren Antworten gibt. So zum Beispiel über den aktuellen Gesundheitszustand eines Menschen.  Megathemen sind deshalb Datensammlung, Datenanalyse und Datenschutz. Janszky geht in seinem Vortrag noch einen Schritt weiter. Heute sind Daten in Echtzeit wichtig. In der Zukunft sind Daten über die Zukunft, also Prognosedaten, entscheidend. Im Jahr 2020 können Computer menschliche Emotionen zeigen. 2025 könne man Geräte durch Gedanken steuern. Bereits heute sei das möglich. Das Equipment dafür kostet nur 250 Dollar und wird derzeit im Computerspiel Bereich oft eingesetzt. Auch Boeing nutzt die Steuerung per Gedanken in ihren Flugsimulatoren. 

 

Der digitale Spiegel 

Eine entscheidende Frage in der Zukunft der Medizin ist für Jánszky: Was passiert, wenn der menschliche Arzt meine Emotionen kennt, da er sie über einen Computer ablesen kann? Intelligente elektronische Assistenten werden als erstes im Gesundheitssektor ihren Durchbruch erleben, sagte Jánszky. Körperanalysedaten des Patienten erscheinen dann in Echtzeit auf seinem Armband. Sobald der Patient seine Daten am Arm einsehen kann, erfolgen automatisch andere Folgeaktionen. Die Folgeprozesse durch Digitalisierung macht die Welt einfacher. Jánszky nennt dafür ein Beispiel: Im Jahr 2025 sind wir überall von Software und Chips umgeben. Wenn jemand dreimal in der Woche vor seinen digitalen Spiegel steht, kennt der Spiegel all seine Vorlieben, Körpermaße, Stimme, Bewegungen, , Stimmungen oder Fitnesszustand. Der Spiegel suche dann auf Abruf im Netz nach Dingen und Lieferanten, die der Nutzer haben möchte. Aus Information "A" (Jeans ist defekt) erfolgt automatisch Aktion "B" (passende Ersatzjeans wird nachbestellt). Der Nutzer müsse dabei wissen, dass er nicht mehr Herrscher über Regel und Preis sei. Denn der Spiegel antizipiert Bedarfe und sucht eigenständig bei seinen definierten Lieferquellen. Gegenstände wie ein Spiegel werden mächtig sein.    

 

Entwicklung von Displays 

Displays werden laut Jánszky alle dreidimensional werden. Es entsteht dabei ein Raum zwischen menschlichem Auge und der realen Welt. In diesen Raum werden sogenannte Informationslagen Mehrwertdienste ausführen. Unser Handy ist laut Jánszky bereits jetzt schon eine solche Informations- oder Zwischenlage. Die entscheidende Frage dabei ist: Wer wird der Mächtige sein, der die Providerfunktion in dieser Zwischenlage einnehmen wird? Wer wird sich zwischen Mensch und Aussenwelt schieben? Aktuell kämpfen die großen IT-Anbieter wie Google und Amazon im Hintergrund bereits um diese Vorherrschaft. 

 

Welche Rolle spielt der Mensch im Jahr 2025? 

Die Computer werden in einigen Wissensbereichen bereits im Jahr 2025 schneller sein als Menschen. Die Folge: Aktuelle Experten müssten Ihre Geschäftsmodelle ändern und adaptieren. Beispielsweise wäre die Konkurrenz für Jánszky (Zukunftsstudien) die Suchmaschine Google (Internet). Also müsse man sich fragen, was man in Zukunft verkaufen möchte. Seine Prognose: Expertentum war gestern, die Zukunft gehören sogenannten Coaches (Begleiter).

 

Dienstleistungen werden adaptiv statt Standard

Die Märkte der Zukunft bieten nur noch wenig Platz für Standard-Leistungen. Es werde mehr Economy und mehr Premium Angebote geben (siehe Abbildung Pyramide unten). Der neue Trend heißt "Identitätsmanagement". Anbieter müssen so Jánszky ihren Kunden einen Raum für die Unterstreichung ihrer Identität kreieren. Ein bloßes Premium-Produkte reicht nicht mehr aus. Man muss  mehr als nur hohe Qualität zu einem hohem Preis anbieten. Als Beispiel nennt Jánszky die disruptive Adaptation des Geschäftsmodells eines Improvisationstheater. Das Preismodell wurde kurzerhand auf "Pay per Laugh" umgestellt. Der Eintritt ist nun kostenlos. Bezahlt werde dort pro Lachen. Das Standard-Eintrittsgeld war gestern. Adaptive Modelle werden die Zukunft prägen. Im Improtheater zählt eine Kamera in Echtzeit wie oft ein Zuschauer lacht. Der Computer erkennt in Echtzeit, wer noch nicht gelacht hat und gibt dem Schauspieler diesen  Hinweis. Der Schauspieler ist dann in der Lage, den Zuschauer gezielt zu bespielen. So wird das Theaterprogramm jeden Tag anders, eben adaptiv werden. Adaptiv ist laut Jánszky das Gegenteil von Standard. Standard wird verschwinden, prognostiziert Jánszky. Seine Aufforderung ist, wir müssen uns über adaptive Leistungen und Services im Krankenhaus unterhalten, bevor es andere tun. Welche adaptive Leistung kann angeboten werden? Durch welche Informationslage kann ein Klinikum seinen Patienten einen Mehrwert bieten? Alles wird in Zukunft datenbasiert passieren, so Jánszky. Weitere Beispiele für adaptive Leistungen nennt er bei Volkswagen. VW werde zwar weiter Autos verkaufen, aber auch selbstfahrende Flotten in die Städte stellen. Mobilität wird dann kostenlos. Der Zwischenraum, in dem dies passiert, wird Adaptiv sein. Google und Co. werden im adaptiven Raum, zum Beispiel auf der Autofahrt von A nach B Geld machen. Zum Beispiel mit dem Abziehen von Gesundheitsdaten. Dadurch kann Google dem Nutzer Arztähnliche Leistungen bieten.  Janszky prognostiziert, dass in Zukunft derjenige viel Geld verdienen werde, der dem Patienten seine Gesundheitsdaten kostenlos aufzeigen und managen kann. 

 

Vorhersehende Unternehmenssoftware

Digitalisierung bedeutet laut Jánszky nicht Automatisierung. Echte Digitalisierung generiert Vorhersagen und steuert Prozesse. Firmen für "vorhersehende Unternehmenssoftware", wie zum Beispiel Fa. Logo, werden deshalb in einigen Jahren eine hohe Bedeutung haben. Die Softwarelösungen können sogar in einem Supermarkt vorhersagen, welche Produkte ein Kunde morgen mit hoher Wahrscheinlichkeit kaufen wird, prophezeit Jánszky. Auch im Klinikumfeld gibt es für eine solche Software viele Nutzungsoptionen. 

 

Innovationen am Tipping-Point

Die rasante Entwicklung des 3D-Drucks wird nach Ansicht Jánszkys den Klinikmarkt nachhaltig beeinflussen. Ein renomierter Forscher arbeit derzeit an einem 3D-Druck eines Herzens. Es entsteht in einigen Jahren eine Art Ersatzteilmarkt für Menschen. Reparaturen, Updates und Upgrades sind am Markt erhältlich. So stehe ein Entwickler kurz davor, ein Steak in 3D zu drucken. Der Ernährungsmarkt wird sich radikal verändern. Genauso wie der Immobilienmarkt. Häuser könnten ebenfalls in 3D innerhalb weniger Tage gedruckt werden. Jun Wang (BGI) , ein chinesischer Wissenschaftler, kreiere adaptive Lebensmittel. 2019 werde die Identifizierung eines Genoms in wenigen Tagen realisierbar sein. Dadurch könne man schnell erfahren, welche Krankheiten man hat und was man tuen müsste, um gesund zu werden. So könne zum Beispiel ein idealer Mix an Darm-Bakterien individuell errechnet werden. Zukünftig könnten Toiletten dies berechnen. Ab 2020 werden laut Janszky die Tipping-Points für wichtige digitale Entwicklungen wie künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos und 3D-Druck erwartet. Sie werden dann zu Massenanwendungen in Wirtschaft, Medizin und Verkehr.  Tipping-Points sind die Meilensteine des digitalen Zeitalters: Sie kennzeichnen den Zeitpunkt, an dem das zuvor lineare Wachstum einer technischen Entwicklung abrupt aufhört und – im besten Fall – in eine Phase exponentiellen Wachstums übergeht und damit zu einem Massenmarkt werden kann.  Die Kliniken müssten sich also fragen, wo ist ein Tipping-Point, der für mein Geschäftsmodell wichtig oder bedrohend ist?

 

Die Zukunft des Gesundheitswesens ist eine Mischung aus IT und Medical Food

Die Zukunft des Gesundheitswesens wird eine Mischung aus IT und Nahrungsmittel sein, meint Janszky. Gesundheit werde zum Netzwerk, um das sich um Datenen ranken. Der Computer werde laut Jánszky im Jahr 2025 sagen:  "Du bist zu 22 Prozent krank. Bitte esse deshalb Nahrungsmittel XY oder Zusatzstoff XY, dann wirst du nur noch 8 Prozent krank sein". Das Gesundheitswesen muss laut Janszky weg von der aktuellen Schwarz-Weiß Systematik a la "Null oder Hundert", also krank oder nicht krank, hin zur Skalierbarkeit. Der Computer zeige uns zukünftig die Graustufen auf. Unsere eigenen Psychogramme werden wir zukünftig auf unserem Smartphone mit herumtragen. Die Frage wird dann sein, wie Ärzte mit diesen neuen Informationen der Patienten umgehen werden. Was erwarten dann Patienten von einem Arzt? Die Ärzte und das Klinikmanagement müssen die Digitalisierung deshalb als Chance wahrnehmen (siehe Video unten: "Eine Wendung, die überrascht") und Lösungen kreieren. Die Zukunft entstehe im Kopf. Für Jánszky ist es eine Frage der Sichtweise.aut Jánszky ist es unsere Verantwortung gegenüber unseren Nachfahren. Wir müssen  unseren Kinder beibringen, dass die Lücke zwischen Gegenwart und Zukunft gut ist, plädiert Jánszky. Es reiche nicht mehr aus, alte Erfahrungen und gesammeltes Wissen bis zu unserem Lebensende zu verwalten. Jeder ist gezwungen, sich in Zukunft stets weiterbilden. Janszky geht noch ein Schritt weiter: Jeder muss alte Erfahrungen und vorhandenes Wissen vergessen können, um Neues zu lernen und Innovation zu kreieren.  Dies sei der entscheidende Erfolgsfaktor der Zukunft. 

 

 

 

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